Superpenner
Letzte Woche war ja die Fashion Week zu Gast in Berlin und da gab es wieder jede Menge Goodie Bags, Präsente und Magazine. Letztere haben massiv zugenommen und an jeder Ecke wurde einem ein Katalog oder ein Messeheft zugesteckt. Alle hatten nur einen Nutzen: Produkte verkaufen. Das interessanteste Leseprodukte gab es aber weder im Mercedes Benz-Zelt noch auf der Bread & Butter, sondern draußen auf der Straße. Und es war auch nicht für umme. €1,50 „musste“ ich investieren um etwas wirklich interessantes über Berlin zu erfahren. Soviel kostet die monatlich erscheinende Straßenzeitung, der STRASSENFEGER. Das Prinzip ist bekannt: Obdachlose verkaufen die Zeitung und dürfen pro verkauftem Exemplar einen Teil behalten. In Berlin sind über 1000 „Verkäufer“ registriert. Diese bringen die Auflage von 20.000 Exemplaren unters Volk. Ein lobenswertes Konzept das es zwischenzeitlich in fast allen deutschen Großstädten gibt. Die Januar-Ausgabe des STRASSENFEGER trägt den Titel „Zeit“.
Diese Ausgabe ist eine ganz besondere, denn Sie hat einen Beileger: einen Hochglanz-Comic mit dem Namen SUPERPENNER. Untertitel: „Seine Muskeln sind fester als sein Wohnsitz“. Ein Bettler bekommt durch seinen Bierkonsum Superkräfte die er für gute Dinge einsetzt. Die Idee hierzu kam von der renommierten Werbeagentur SCHOLZ & FRIENDS welche den Comic auch finanziert und umgesetzt hat. Durch diese Beilage ist der Verkauf des STRASSENFEGER rapide gestiegen, was gerade in einem Monat wie dem Januar sehr wichtig ist. Der Winter ist kalt, die Spendenbereitschaft im Keller. Also eine gute Sache für alle Beteiligten.
Herausgeber der Zeitschrift ist der mob e.v. (Obdachlose machen mobil). Der Verein ist in Berlin nicht mehr wegzudenken, bietet Übernachtungsmöglichkeiten für Obdachlose an und führt ein Sozialkaufhaus im Prenzlauer Berg. Wer den Verein unterstützen möchte kann dies HIER tun. Und vielleicht auch noch ein LIKE bei Facebook vergeben. Das kostet schließlich nichts.
Hier ist noch ein Interview mit Stefan Sohlau von Scholz & Friends über die Entstehung des Superpenner-Comic. Interview: Boris Nowack
Wie kam es zu der Idee für einen Comic für eine Straßenzeitung?
Stefan Sohlau: Eine Agentur wie unsere arbeitet aus unterschiedlichen Motivationen heraus. Zum einen weil man mit der Arbeit Geld verdienen möchte. Und dann gibt es Projekte, die einem am Herzen liegen. Der Superpenner ist so etwas. Der strassenfeger, der ja Menschen dabei hilft, sich selbst zu helfen, ist eine unterstützenswerte Sache. Das kann man durch eine Werbekampagne fördern, oder durch zusätzliche Inhalte, um den Verkauf anzukurbeln. Wir wollten etwas machen, was man von so einer Zeitung gar nicht erwartet, indem man ein komplett anderes Medium besetzt, eben ein Superhelden-Comic.
Wie lange hat es gedauert von der Idee bis zur Fertigstellung?
Sohlau: Stefan Lenz hatte vor drei Jahren die Idee dazu. Er hat den Comic selbst über etwa ein Vierteljahr immer abends oder in seiner Freizeit geschrieben und gezeichnet. Normalerweise stemmt man so etwas für einen Auftraggeber in zwei, drei Monaten. Dass es hier bis zur Vollendung drei Jahre gedauert hat, liegt daran, dass wir viele Leute gewinnen mussten, die auch ohne Honorar arbeiten, der Druck des Heftes musste finanziert werden, ebenso die Kampagne.
Der Superpenner ist ein wahres Potpourri an Comics. Die Berliner Stars Didi und Stulle kommen ebenso vor wie eine Referenz zu Asterix und Obelix mit dem am Baum gefesselten MC Fitti als Barde. Was war die Vorlage für Stefan Lenz?
Sohlau: Orientiert hat sich Stefan an den 60er Jahre Marvel Comics aus den USA, an klassischen Superhelden wie Superman und Spiderman. Das erkennt man auch an der Lautmalerei.
Wen möchtet Ihr mit dem Comic ansprechen und was möchtet Ihr erreichen?
Sohlau: Die Zielgruppe ist sehr breit, deswegen haben wir ein so populäres Format gewählt. Das findet ein 14-Jähriger ebenso toll wie die etwas älteren. Wir sprechen alle Berliner an, genau wie der strassenfeger, und haben deswegen eine Superhelden-Story gewählt. Das Ziel ist es, die Berliner für den strassenfeger zu begeistern, deshalb auch der starke Lokalkolorit und die vielen Klischees. Die Straßenzeitungs-Verkäufer sieht jeder mindestens dreimal am Tag, aber die wenigsten kaufen ein Blatt. Wir wollten einen zusätzlichen Anlass schaffen, dass die Leute die Zeitung kaufen. Im Idealfall ist das die Initialzündung und sie kaufen sie regelmäßig.
Sind denn der Titel Superpenner und die vielen Klischees über Obdachlose nicht etwas provokant?
Sohlau: Darüber haben wir lange nachgedacht. Der Superpenner ist schon eine sehr plakative aber auch selbstbewusst ironische Art, die Geschichte zu erzählen. Klar spielen wir hier mit Klischees, und er Zaubertrank ist dann auch noch Bier. Trotzdem ist er der Held. Wir haben Obdachlosen beim strassenfeger und auf der Straße von der Idee erzählt und alle fanden es lustig. Es ist überhaupt nicht politisch korrekt aber dadurch unterhaltsam. Außerdem kriegt jeder sein Fett weg. Von der Prenzlauer Berger Ökomutti über den unhöflichen Busfahrer bis zu Wowi, der einen Veranstaltungskalender liest.
Obdachlose werden von manchen Bürgern angefeindet, eben weil sie angeblich nur Bier trinken, keine Superkräfte besitzen und unnütz sind. Kann so ein Comic daran etwas ändern?
Sohlau: Im schlimmsten Fall wird das Problem komplett ignoriert. Wer Obdachlose in der S-Bahn als Verkäufer nicht beachtet, denkt auch nicht daran, dass sie abends im Freien schlafen müssen. Alles was zu Öffentlichkeit führt, um sich mit dem Thema zu beschäftigen, hilft den Obdachlosen. Wir sehen den Comic gewissermaßen als Trojanisches Pferd.
Was gehört außer dem Comic noch zur Kampagne?
Sohlau: Es gibt eine Plakatkampagne mit fünf Motiven mit Obdachlosen, die wir auf der Straße gecastet haben. Außerdem einen Kinospot, der mit Hilfe des Yorck Kinos für zwei Wochen in Berlin auf 23 Leinwänden laufen wird. Und auf der Pressekonferenz am 9. Januar haben wir den Comic vorgestellt und einzelne Seiten auf Leinwände gezogen, die zugunsten des strassenfeger versteigert wurden.
Wo wird es den Superpenner geben?
Sohlau: In der BZ gibt es ausschnittweise Vorabdrucke als Appetithappen, aber wer den ganzen Comic lesen will, muss den strassenfeger kaufen.
Ist eine Fortsetzung geplant?
Sohlau: Toll wäre es, wenn es in Paris den Superclochard oder in New York den Supertramp geben würde. Im besten Fall wird Berlin der Referenzfall für dieses Projekt. Die Story und Superhelden funktionieren in jeder Stadt, wenn man den Lokalkolorit anpasst. Bestenfalls finden sich in anderen Städten Leute oder Agenturen, die das machen und denen wir mit Rat und Tat zur Seite stehen. Das ist aber noch Zukunftsmusik.
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